Ein eigenartiger Name und eine definitive Ausrichtung. system76 baut nicht nur Computer, sondern hat mit Pop!_OS seit einigen Jahren ein eigenes Linuxsystem am Start, welches mittlerweile mit eigenem Aussehen, Launcher und Tools daher kommt, die vor allem professionellen User das Leben leichter machen soll.

Dabei ist eben die Ausrichtung auf Menschen mit Vorkenntnissen nicht zu leugnen, auch spricht das Design wohl nicht jeden an. Doch wirkt das System in sich dennoch relativ rund und gelungen. Wie rund, schauen wir uns an.

Installation

Das war schnell. Die Installation war und ist nicht wirklich von anderen Systemen zu unterscheiden, Hauptpunkt ist wohl, dass man als Standard die SSD verschlüsseln soll. Das kann man auch nicht machen, wie man möchte.

Was aber auffiel: Man klickt sich durch ein paar Seiten und Daten werden kopiert und zack ist man fertig. Also schon hier legt man ein gutes Tempo vor.

Start

Der erste Start ist auch hier etwas recht unspektakuläres. Aber man merkt, das System ist einfach schnell. Dann kommt gleich mal die Einführung und man kann sich das Design etwas anpassen.

Da ich einen 16:9 Monitor im Laptop habe, nutzte ich den Moment auch um in den Einstellungen die Leiste von durchgehend und Grau und an der unteren Seite, zu nicht durchgehend und auf der linken Seite zu ändern. Das lockert das ganze etwas auf und wirkt auch moderner. Das System ist eh schon grau genug.

Eine Willkommenstour als Begrüßung

Ansonsten gibt es vor allem am Dock was zu entdecken. Denn hier gibt es zwei Buttons, die man so weniger kennt. Der eine ist der “Launcher”, der öffnet ein Fenster in das man einfach eintippt was man gerade sucht oder braucht. Das können Apps sein, das können Einstellungen sein, sowie auch Berechnungen oder der Browserverlauf.

Der andere Button zeigt die Arbeitsfläche und die Desktops an, also etwas bekanntes. Dann gibt es noch die Appübersicht. Diese ist auch eigens gebaut und kann mit eigenen Ordnern ausgestattet werden, damit man sich alles anpassen kann, wie man es gerne möchte. Etwas eigenartig ist, dass man die Buttons am Dock hat, aber auch an der oberen Leiste nochmals als Text-Buttons. Hier möchte man womöglich Gewohnheitstiere abholen, wirkt aber redundant.

Design

Design ist hier etwas schwierig, wie ich finde. Einerseits ist es doch ein einheitliches Design, alles wirkt zusammenhängend und durchdacht. Andererseits ist da aber mit dem Grau- und den Brauntönen mit dem Orange und der Schriftart etwas entstanden, was wiedermal nicht auf den einfachen User abzielt.

Ist das schlimm? Nein. Sollte man aber wissen. Hier gibt es kein durchwegs stylisches System das Köpfe verdreht, sondern ein etwas nerdig-erdiges. Von Haus aus im dunklen Design, dafür die Icons bunt, wenn auch zumeist auf Rottöne verzichtet wird. Damit erhält das Design ein gedämpftes Aussehen.

Persönlich bin ich nicht der größte Fan davon, aber immerhin ist es ein eigenes Design und zielt wie gesagt wiederum auf professionelle User ab, die es womöglich etwas eckig, kantig und technisch wollen, dabei auch selbst Anpassungen machen können und sich im Endeffekt auf Inhalte konzentrieren wollen. Dennoch hat das System etwas verspielt-cooles, um nochmal mit ein paar Wörtern herum zu werfen.

Apps

Der Pop! Shop ist der Anlaufpunkt, wenn es um Apps und Programme geht. Hier geht man auch einen recht definitiven Weg – Flatpak sind hier an erster Stelle. Und man muss sagen, dass das als Strategie wahrscheinlich das Beste ist, was man aktuell tun kann.

Die meisten Apps sind sehr aktuell, wenn auch tendenziell größer als frühere DEB Pakete, doch wie wir wissen, überwiegen die Vorteile und die Zeiten mit 128 Gigabyte SSDs sind hoffentlich wirklich vorbei.

Was allerdings fehlte waren meine Arbeitstools Zenkit Base und Zenkit ToDo. Die gibt es scheinbar nicht im Shop, auch nicht unter Flathub. Man kann die DEB downloaden, doch ich entschied mich für die Snap. Somit musste man erstmal Snap installieren per Terminal, sowie auch per Terminal dann Zenkit und Zenkit ToDo. Nicht gerade einfach für den normalen User. Übrigens braucht es einen Neustart, dass die Apps im Launcher auftauchen, sowie scheinen im Shop auch keine Snaps auf. Also wiederum eine Frage der Sinnhaftigkeit auf lange Sicht und wiedermal ein dummer Kompromiss, wenn es um Paketformate geht.

Installiert ist neben Firefox auch Geary, das ist ein netter Email Client, doch wirkt er etwas zu einfach für ein System, das eigentlich professionelle User ansprechen möchte. Da kann man sich mit Thunderbird auch schnell Abhilfe schaffen. Immerhin ist Geary aber gut ins System integriert.

Ansonsten findet man neben LibreOffice auch kleine Tools für den Arbeitsalltag vorinstalliert, dafür muss man seine wirklich benötigten Programme selbst aus dem Shop laden. Immerhin ist auch Chrome direkt im Shop auffindbar, der Nextcloud Client genauso. Steam gibt es, Spotify – eben alles was Flathub bietet. Das ist einfach und komfortabel, aktuell und vor allem eines: Nicht verwirrend für den User. Startzeiten der Apps sind damit auch normal schnell im Gegensatz zu anderen Formaten.

Work

Erfreulich problemlos verlief das Arbeiten mit dem System.

Was leider wiedermal nervig ist, dass Nextcloud zwar schnell zu installieren und einrichten ist, aber es will nicht automatisch starten. Man findet zwar eine App mit Programmen die automatisch gestartet werden sollen, doch hier findet sich Nextcloud nicht darin, sowie ist das Hinzufügen für den normalen User nicht schaffbar ohne Hilfe aus dem Netz. Immerhin funktioniert das Hinzufügen mit GNOME Tweaks. Das sollte definitiv endlich mal in den Einstellungen von GNOME übernommen werden. Was haben die Entwickler gegen Hintergrundprogramme und dazugehörige Icons?

Beim Browsen funktioniert leider manches über das Touchpad nicht. Retour über zwei Finger als Beispiel, aber sogar der Zoom mit zwei Finger geht einfach nicht. Das kommt mir so auch etwas komisch vor, weil das sonst eigentlich funktioniert.

Gewöhnt man sich an das Design, den Ablauf und so weiter, ist das System auch gut zu benutzen. Überraschend war aber auch, dass man nicht gleich auf Wayland, sondern noch X11 setzt, was bei meinem Laptop ansonsten nie ein Problem ist.

Was wie immer unter Linux oder auch GNOME nervt, ist die fehlende, vernünftige Unterstützung von NAS Laufwerken. Da man nach wie vor NAS Laufwerke immer wieder neu mounten bzw. verbinden muss, kann man als Beispiel nach einem Neustart nie mit der Arbeit an einem Dokument am NAS-Ordner direkt weitermachen, da man immer erst in den Dateibrowser muss und das Laufwerk wieder neu einhängen. Also nochmal: Wir haben 2022 und ein NAS ist kein USB Stick, der kaputt wird, wenn man ihn einfach abzieht. So viel zu “professionelles Umfeld”.

Multimedia

Zumeist sind die Zeiten vorbei, wo ein Browser teils bessere Multimediafähigkeiten geboten hat, als ein Linux-System. Pop!_OS bezeichnet sich ja auch selbst als “für Kreativprofis” und daher erwartet man sich ja auch eine gewisse Multimediafähigkeit.

Bilder öffnen sich wie so oft in einem einfachen Vorschaufenster, viel mehr als in ein anderes Format zu speichern, kann man aber nicht. Fotoverwaltung gibt es nicht, der “Kreativprofi” kann sich aber selbst darum kümmern.

Videos, zumindest MP4, öffnet der interne Videoplayer erstmal nicht, bietet aber an, dass man fehlende Software installiert. Nachdem das geschafft ist, gehen MP4 Videos aber dennoch mal wieder nur mit Bildfehlern. Scheinbar werden hier gleich eine Reihe von Sachen installiert, man liest von DRM und AV1. Das gefällt schon eher, wenn wiedermal auch die Frage, warum die paar Megabyte nicht schon vorinstalliert sind bei ausgerechnet dem System. Aber es musste eh der VLC Player nachinstalliert werden, um fehlerfrei schauen zu können.

Immerhin gingen MP3 ohne Zutun.

Laptop

Laptop-User werden sich etwas umgewöhnen müssen was Gesten angeht, aber dafür ist man auch etwas flexibler als in anderen Systemen. Vor allem bei drei und vier Fingern gibt es Unterschiede:

Drei Finger links oder rechts, und man geht durch die offenen Fenster durch. Vier Finger nach links bedeutet App-Übersicht, nach rechts öffnet die App-Übersicht, nach oben und unten wechselt durch die virtuellen Desktops. Das wirkt durchdacht und beschleunigt das Arbeiten auch merkbar, wenn man sich daran gewöhnt hat.

Wie gesagt funktionieren zwei Finger im Browser nur für das Scrollen.

Desktop

Am Desktop ist das System natürlich genauso gut nutzbar wie viele andere, da man das Dock immer anzeigen lassen kann und auf die linke oder rechte Seite verschieben, ist es auch mit dem Platzverbrauch bei breiteren Displays viel besser als wenn die Leiste nur unten wäre und womöglich sich immer ausblenden würde, wie bei GNOME üblich. Auch wie bei GNOME üblich ist wiedermal alles etwas wuchtig und vielleicht zum gewöhnen, man kann die Icons vom Dock aber auch kleiner machen. Das dürfte für die Zielgruppe sowieso kein Problem sein, wenn man ein wenig selbst Handanlegen muss, oder auch möchte.

Auch nutze ich gerne die “Hot Corner” Funktion, da man damit auch mit der normalen Maus schneller durch die offenen Fenster kommt.

Multi-Monitor

Steckt man einen HDMI Stecker in den Laptop, so erweitert sich der zusätzliche Monitor sofort nach recht und das ist in meinem Fall sogar richtig. Also keinerlei Zutun und man kann schon mit zwei Monitoren gleichzeitig arbeiten.

Was auch noch zu erwähnen ist, dass man mit der Windows bzw. Super-Taste ja den Launcher öffnen kann, also einfach eintippen was man braucht. Das öffnet dann immer auf dem Monitor, auf dem sich die Maus gerade befindet. Auch ein nettes Detail.

Virtuelle Desktops und laufende Programme werden auch pro Monitor angezeigt. Gesamt alles angenehm und soweit auch praktisch konfiguriert. Leider hat sich der Laptop aber nach einem Neustart nicht gemerkt, dass ich davor nur den externen Monitor an hatte.

Also müsste man scheinbar jedes Mal die Monitore neu einstellen – auch wenn das mit Windows/Super-Taste und P schnell erledigt ist, dennoch etwas nervig. Das gleiche gilt dann auch für den Sound: Den darf man auch immer wieder auf HDMI selbst umschalten, in den Einstellungen versteht sich. Das ist alles andere als praktikabel.

Windows-Apps

Öffnet man eine EXE Datei ohne vorher irgendetwas zu installieren, versucht das System das als Archiv zu öffnen und man scheitert natürlich daran. Im Shop findet man aber WINE und auch Bottles, zweiteres ist ein relativ neues und flexibles Programm, um allerhand Windows-Programme in Linux laufen zu lassen.

Der WINE Download dauerte leider doch etwas länger. Aber auch nach der Installation war nichts von WINE zu spüren, dafür hat sich Bottles gleich mal vorgedrängelt und öffnet die EXE Datei, aber es passiert auch nichts weiter.

Bottles ist eine neue App für Windows-Apps und -Spiele

Games

Bei Spielen gibt es wie so oft nicht zu viel zu berichten, alles aus dem Shop und vieles, beinahe alles aus Steam, läuft auch direkt mit Proton.

Wäre da nicht eine Eigenheit, die mit Linux und vielleicht auch Steam zu tun hätte. Denn: Wenn ich Steam auf einem neuen System installiere, verbringe ich nicht gerne Stunden damit, alle Testspiele neu herunter zu landen. Darum gibt es ja externe Festplatten und auch das “Backup & Restore” von Steam. Da kann man einzelne oder mehrere Spiele einfach sichern und wiederherstellen.

Aber: Haben Sie schonmal eine Festplatte in der reinen Datenstruktur von Linux gesucht? Ich würde mich nicht als Anfänger einordnen, aber ich konnte das nicht finden. Unter media/username sollte es sein, war es aber nicht – weil einfach nicht vorhanden in Steam. Unter dev/sda4 gibt es zwar einen Ordner den man findet, aber Unterordner wieder nicht.

Spiele wiederherstellen in Steam - nicht ganz so leicht von externen Medien

Also gut, dann kopieren wir das Ganze einfach auf die Festplatte in den Download Ordner. Wissen Sie was? Steam zeigt den nicht an. Aber Musik. Also in den Musikordner verschoben. Und siehe da – endlich konnte man Spiele wiederherstellen.

Da ich seit Jahren jammere (und sogar mit den GNOME Entwicklern darüber schriftlich diskutiert habe), dass man endlich verschiedene Devices anders behandeln sollte, sieht man hier wiedermal, warum das wichtig wäre.

Das wäre insgesamt ein sehr tiefer Eingriff in das System, aber solange man einen USB-Stick gleich behandelt wie einen NAS-Ordner, ist das für mich nach wie vor als Irrsinn, oder einfach als “dumm” zu bezeichnen. Leider. Natürlich hat das mehr mit Alltags- oder professioneller Arbeit zu tun als mit Spielen, aber man stößt einfach immer wieder auf solche einfache Schwachstellen in den Systemen. Wie wäre es mit #buildabettermountsystem?

Conclusio

Irgendwie gefällt das System, irgendwie aber auch nicht ganz rund.

Persönlich bin ich nicht der größte Freund eines durchwegs grauen Systems, teils wirkt es etwas verspielt und auch modern, dann wieder nicht. Man würde sich etwas besseres Design wünschen, ist aber natürlich eine Entscheidung des Herstellers. Die graue Leiste an der unteren Seite ist aber alles andere als schön oder aktuell. Immerhin kann man vieles konfigurieren und mit einer kleineren Leiste lebt es sich schöner, als Beispiel.

Wenn man schon für Kreativprofis wirbt, ist es vor allem im Videobereich komisch, dass man keinerlei Codecs installiert hat und auch nach der automatischen Installation funktioniert das nicht richtig. Wayland lässt sich übrigens auch nicht auswählen, obwohl der Laptop damit sonst keinerlei Probleme hat. Multimonitor-Arbeiten ist nett, aber da das System stehts die letzten Einstellungen vergisst, ist das am Ende ein Graus. Ständig muss man Monitore und Sound neu einstellen, obwohl man als Beispiel nur neu gestartet hat.

Was aber auf jeden Fall gefällt ist die Installation und auch die Schnelligkeit. Hier kann man darüber streiten ob das System wirklich schneller läuft als andere, aber es wirkt auf jeden Fall so. Die Kleinigkeiten die system76 hier ins System integriert gefallen auch, sind aber klar auf professionelle User ausgelegt. Manches wirkt nur noch nicht ganz fertig und durchdacht.

So hat man bei Pop”_OS mehr als bei anderen Systemen das Gefühl, dass die Entwickler es selbst auch tatsächlich verwenden. Das scheint eben in den vielen Kleinigkeiten durchzukommen. Leider nimmt das System aber wie andere auch durchwegs die Schwächen von Linux und GNOME mit. Immerhin ist mit dem Shop und Flatpak vieles leichter was Software angeht, auch wenn man als Beispiel seit fast zwei Wochen auf Thunderbird 102 wartet.

Wiedermal sind manche Apps nur als Snaps verfügbar, diese werden aber nicht im Shop unterstützt. Linux typisch ist auch die Arbeit mit einem NAS Ordner nicht praxisorientiert. Wieder ein Minuspunkt, wenn man professionelle Arbeiter damit ansprechen will.

Soweit also ein eigentlich gutes System, das vor allem fortgeschrittene User ansprechen möchte. Allen voran auch die, welche die hauseigene Hardware von system76 verwenden. Für Gamer und Programmierer sehe ich das System genauso, wie für andere Profis, die auf Windows verzichten können.

Did you enjoy the post?